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Das Rosa Motel
(ca. 99 Min., Farbe)
von Yves Bernas
FADE IN:
1. INT./EXT. A1 Volksbühne Theater - Nacht
Es ist Weihnachten 2028. Vor dem Volksbühne Theater. Ein beleuchtetes Banner zeigt den Titel des Stücks: "KEINE VORSTELLUNG", von Bill Bucket. Nur wenige Menschen stehen vor dem Theater.
MISS INGRID BARRET, 50 Jahre alt, schön, elegant gekleidet mit einem Pelzmantel, steigt die Treppe hinauf und betritt die Eingangshalle.
ROGER WIMMERSEN, 55 Jahre alt, ebenfalls elegant gekleidet, steigt einige Sekunden später die gleiche Treppe hinauf. Wir folgen ihn.
In der Eingangshalle sehen wir ein Schild: "DER WEIHNACHTSMANN IST EIN DIEB!" mit einem Pfeil, der uns den Weg weist.
Ingrid geht zum Ticketschalter hinauf, ein KASSIERER sitzt hinter dem Schalter. Ein paar Kinder kommen oder gehen zu den Toiletten.
Roger und Ingrid kennen sich nicht.
Ingrid
Eine Karte, bitte! vordere Reihen, möglichst in der Mitte.
Währenddessen holt Roger sie ein und stellt sich ein Paar Schritte hinter sie, leicht zur Seite.
Kassierer
(er gibt die Karte aus)
12 Kronen! Hat bereits begonnen!
Sie sieht sich die Eintrittskarte an. Darauf steht: "Der Weihnachtsmann ist ein Dieb!".
Ingrid
Nein, ich meine eine Eintrittskarte für das Stück "Keine Vorstellung" von Bill Bucket.
Kassierer
(sehr mürrisch)
Können Sie nicht lesen?
Roger, entsetzt über die Unhöflichkeit des Kassierers kommt näher. Ingrid schaut auf das Schild über dem Ticketschalter und liest: « Heute keine Vorstellung ».
Ingrid
(verärgert)
Natürlich kann ich lesen: Keine Vorstellung von Bill Bucket !
Kassierer- (verärgert) Keine Vorstellung bedeutet keine Vorstellung, das Stück «Keine Vorstellung» von Bill Bucket wird heute nicht aufgeführt. Pause, Ruhe, nada, Urlaub! Verstanden?
Ingrid wendet sich Roger zu, beide sind ratlos, und plötzlich fangen beide an zu lachen, so sehr zu lachen, dass der Kassierer merkt, daß sie sich über ihn lustig machen.
2. INT. A2 Rogers Auto - Nacht
Roger sitzt am Steuer seines Arrow II, eines stilvollen schwarzen Oldtimers. Er fährt durch die Straßen der Stadt. Ingrid sitzt auf dem Beifahrersitz.
Er fährt den schmalen Weg, bis zum Eingang eines Fünf-Sterne-Hotels hinauf und hält unter der Markise an. Der Weg ist weder für Autos noch ist die Markise dafür gemacht. Er hält das Auto an.
Ingrid
Wollen Sie mich nicht auf mein Zimmer begleiten?
Roger wirft einen kurzen Blick auf sie, dann zurück zum Armaturenbrett.
Ingrid
Wissen Sie, in Hotels gibt es nachts manchmal schlimme Bösewichte.
Roger schaut sich dann um, verlegen, auch wegen des Autos das er nicht auf diesem Weg und unter dieser Markise hätte fahren sollen, und zögert.
Roger
Ich habe mich nicht getraut, Sie zu fragen.
Roger hat einen nervösen Ruck um seine Hüften. Er stellt den Motor ab.
Ingrid
Nun, Herr Willemsen, bei mir müssen Sie sich trauen, ich warne Sie!
Roger
Wimmersen, Frau Barret.
Ein zwergenhafter Pförtner taucht auf, eine Mischung aus Arroganz und Verachtung im Gesicht. Roger und Ingrid steigen aus dem Auto aus. Roger gibt dem Pförtner die Autoschlüssel.
3. INT. A3 Hotel/Halle - Nacht
Ingrid betritt den Saal, dicht gefolgt von Roger, der von dem Luxus beeindruckt ist.
Der REZEPTIONIST scheint sich sehr für die neue Gesellschaft von Frau Ingrid Barret zu interessieren und betrachtet sie von seinem Schreibtisch aus.
Stolz geht sie auf die Rezeption zu. Roger folgt ihr aber bleibt leicht zurück, während sie ihre Schlüssel holt.
Rezeptionist
(gibt ihr die Schlüssel)
Wie war das Stück Frau Barret?
Beim antworten, dreht sie sich zu Roger zu und grinst:
Ingrid
Ausgezeichnet, besonders gut hat mir das Ende gefallen.
Ingrid nimmt Roger am Arm und beide gehen unter den neugierigen Blicken des Rezeptionisten zu den Fahrstühlen hinauf.
4. INT. A4 Hotel/Vor Ingrids Suite - Nacht
Roger Wimmersen und Frau Ingrid Barret befinden sich beide vor Ingrids Suite. Sie öffnet die Tür und dreht sich zu Roger um. Er nimmt seinen Hut ab. Er nimmt ihre von einem Handschuhe bedeckte rechte Hand, nähert sie an seine Lippen und ahmt einen Kuss nach, ohne den Handschuh mit seinen Lippen zu berühren.
Sie geht in ihr Zimmer, wirft ihren Pelzmantel auf einen Stuhl, dreht sich zu Roger um, der immer noch an der Tür steht. Sie hat eine Hand hinter dem Rücken und versucht ihre Bluse aufzuknöpfen, während die andere Hand auf ihrem Schritt liegt, um die Balance, aufrechtzuerhalten wie es scheint.
Ingrid
Ich habe ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für Sie!
Zur gleichen Zeit fällt ihre Bluse ab und enthüllt ihre festen und nackten Brüste.
Ingrid
Wie gefallen sie Ihnen?
Roger errötet und ist verwirrt. Dann gewinnt er seine Gelassenheit zurück:
Roger
Vollkommen erhaben!
Ingrid ist offensichtlich sehr zufrieden. Roger versucht, die Fassung zu bewahren und verhält sich wie ein Notar, wie ein Experte, der die Qualität eines Vermögens, einer Ware bewertet.
Roger
Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!
Er wird offensichtlich geil, aber er versucht, es zu verbergen.
Roger
Gute Nacht, Madame... Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen!
Roger geht dann mit festen Schritten davon und dreht sich erst um, wenn er die Ecke zu den Aufzügen erreicht hat.
Roger
... was hoffentlich sehr bald sein wird!
5. INT. A5 Hotel/Ingrids Suite - Tag
Frau Barret ist verblüfft. Sie betrachtet sich selbst, insbesondere ihre Brüste, im Spiegel der Frisierkommode, die voll mit luxuriösen Make-up-Produkte gedeckt ist. Sie zieht ihren Pelzmantel an. Sie sieht sich wieder im Spiegel an, öffnet den Mantel, streichelt ihre Brüste. Ihr Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Traurigkeit und Autoerotik.
Sie nähert sich dem Spiegel und küsst sich im Spiegel, wobei sie ihren roten Lippenstiftabdruck darauf hinterlässt. Dann gleitet sie mit einem Finger über die Falten in ihrem Gesicht, als wolle sie diese durch einen leichten Druck glätten.
Sie bricht in Tränen aus, fällt auf ihr Bett und weint leise.
6. EXT. A6 In Ingrids Cabriolet - Tag
Bei einem sonnigen Tag im Sommer, fahren Ingrid und Roger in Ingrids Cabrio auf einer Straße am Strand entlang. Sie trägt einen weißen Schal im Haar und eine Sonnenbrille. Sie sitzt am Steuer. Sie lachen.
7. EXT. A7 Am Strand - Tag
Sie laufen im Wasser und bespritzen sich gegenseitig. Dasselbe Lachen.
8. EXT. A8 In Ingrids Cabriolet - Tag
Dieses Mal trägt Roger das weiße Tuch im Haar und ihre Sonnenbrille und sitzt am Steuer. Sie lachen.
9. EXT. A9 Vor dem Rathaus - Tag
Das frisch verheiratete Paar, Roger und Ingrid, steht auf einer Treppe vor dem Rathaus umgeben von Freunden und Verwandten, um ein Foto zu machen. Sie lachen dasselbe Lachen wie damals am Strand. Das Foto wird gemacht.
10. INT. A10 Mortlake/Wohnzimmer - Tag
EIN JAHR SPÄTER.
Im Haus von Ingrid und Roger: VILLA MORTLAKE.
ÜBERBLENDUNG auf das Bild, das bei der Hochzeit aufgenommen wurde, das auf einem Regal in dem Wohnzimmer steht.
KAMERARÜCKFAHRT: Ein Buch auf seinem Schoß sitzt Roger vor dem Kamin in einem Ledersessel und isst Schokolade.
Die Decken sind hoch, die Dekoration ist barock: große Fenster, große rote Vorhänge.
Nicht weit vom Eingang entfernt, eine Chaiselongue(Récamier). Ingrid kommt durch den Haupteingang herein und wirft ihren Nerz auf die Chaiselongue.
Ingrid
Wir müssen zu dem Ersatzteillager gehen, mein Lieber, einen Teil ersetzen, der nicht mehr gut funktioniert!
Roger ist besorgt und verwirrt, er glaubt, sie spricht vom Auto.
Roger
Aber du bist doch mit dem Taxi in die Stadt gefahren!
Ingrid
(verärgert)
Ich spreche nicht vom Auto.
Sie lächelt geheimnisvoll.
Ingrid (CONT’D)
Ich spreche von meiner Maschine!
Roger
Brüste mein Liebling?
Ingrid antwortet nicht sofort.
Ingrid
Nahe dran Roger, nahe dran!
Roger
Die Eierstöcke?
Ingrid
(lacht)
Wie soll ich nur in meinem Alter neue Eierstöcke gebrauchen? Hast du irgendwelche Pläne, Roger? In diesem Fall solltest du dich eine jüngere suchen!
Ingrid lacht gezwungen. Rogers Augen sind feucht.
Ingrid
Nein Roger, das Herz, ich brauche ein neues Herz!
Roger erstarrt.
Ingrid
Keine Sorge, ich kenne bereits den Spender.
Roger zittert.
Roger
Warum, ist er noch am Leben?
Ingrid nähert sich ihm und sieht ihm direkt in die Augen, ohne zu antworten.
11. INT. A11 Rogers Auto - Tag
Roger sitzt am Steuer. Ingrid sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie fahren auf einer kurvigen Straße mit Blick auf das Meer. Ingrid ist dem Fenster zugewandt und schaut hinaus. Das gefällt Roger nicht, er sieht traurig und schelmisch aus.
Ingrid
Mach dir keine Sorgen, dieses Herz ist sauber, weiß, es kommt nicht vom Schwarzmarkt. Es gehört mir schon seit langer Zeit. Ich habe es zwanzig Jahre lang gezüchtet!
Ingrid bricht in ein Lachen aus, das Roger nicht kennt.
Roger
Du meinst, du hast ein Herz, das aus Stammzellen von dir gezüchtet wurde? Funktioniert das schon?
Ingrid
(sie lächelt geheimnisvoll)
Ungefähr!
Roger
Du meinst, du hast über eine Million Kronen für etwas bezahlt, das du für einige Tausend Kronen auf dem Schwarzmarkt hättest bekommen können?
Rogers Stimmung ändert sich völlig. Er wird ganz enthusiastisch und fröhlich, bremst, zieht den Wagen nach rechts, hält an, eilt zu ihr hinüber, nimmt ihre Hände und küsst sie, küsst sie dann auf den Mund und beide Wangen.
Roger
(stottert)
Verzeihe mir! Wie konnte ich mir einen solchen Gedanken durch den Kopf gehen lassen?
Rogers Kopf ruht nun auf ihrem Schoss. Ihre Hände in seinen Haaren, stöhnt Ingrid in einer Mischung aus Verzweiflung und Herablassung. Sie blickt vor sich hin und wird plötzlich ernst.
SPÄTER: Sie fahren weiter auf der gleichen Strasse. Roger singt. Ingrid ist darüber verärgert, aber sie setzt ein Lächeln auf. Später kommen sie in der TRANSGENISCHEN KLINIK BRAUNFELS an.
12. EXT. A12 Braunfels Klinik/Parkplatz - Tag
Sie steigen aus dem Auto aus und gehen zum Haupteingang.
13. INT. A13 Braunfels Klinik/Eingang - Tag
Junge hübsch aussehende EMPFANGSDAMEN mit strahlendem Lächeln und gebleichten Zähnen, alle in Weiß gekleidet, Hosen, Jacken, Hemd, Schuhe, Socken ganz in Weiß, stehen hinter ihrem Schalter. Auch die Eingangshalle ist ganz weiß, weiße Wände, vorzugsweise große weiße Fliesen. In der Nähe der Eingänge gibt es einige Stände, die mit weißen Vorhängen geschlossen sind.
In der Mitte der Halle befindet sich eine Büste von ERNST-HEINRICH SWEED. An einer der Wände befindet sich auch ein großes Foto von Ernst-Heinrich. Neben der Büste und dem Foto befindet sich ein Begleittext:
Dr. Ernst Heinrich Sweed, 1971-2027, Pionier der genetischen Biologie, insbesondere der Züchtung menschlicher Organe und des Klonens. Gründer der Transgenischen Klinik Braunfels und des Transgenischen Forschungsinstituts Braunfels.
Als sie Ingrid hereinkommen sehen, kommen beide Empfangsdamen hinter ihren Schreibtischen hervor und gehen freundlich auf sie zu, um sie zu begrüßen.
Erste Empfangsdame- (reicht ihr die Hand) So schön, Sie wiederzusehen, Dr. Sweed. Dr. Kaplan kommt sofort zu Ihnen.
Ingrid
(verärgert)
Frau Barret, hum... Dr. Barret.
Erste Empfangsdame
Natürlich, Frau Barret, immer noch so ergriffen von Ihrem so großartigen verstorbenen Ehemann.
Ingrid wirft ihr einen strengen Blick zu. Wir hören Schritte.
Ingrid
(mit einem falschen Lächeln)
Natürlich...
Dr. Kaplan trifft ein.
Dr. Kaplan
Frau Sweed, was für eine Freude! Was für eine Gesundheit, Sie sehen so jung aus!
Er nimmt ihre Hand, tut so, als küsse er sie und bringt sie nahe an sein Herz.
Dr. Kaplan (CONT’D)
Unter Inkaufnahme der Wiederholung, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie seit dem Tod von... äh... (wendet sich an Roger) verjüngt sind, seitdem Sie Herrn...
Roger
Wimmersen, Roger Wimmersen!
Kaplan kichert und schaut weiter Roger an:
Dr. Kaplan
... Wimmersen kennen. Was würden sie nicht tun, um sich zu verjüngen!
Als Kaplan merkt, dass er gerade einen Fehler gemacht hat, wird er ernst.
Dr. Kaplan (CONT’D)
medizinisch betrachtet natürlich.
(Wendet sich an Frau Barret) Weiß Herr Wimmersen von...
Ingrid
Selbstverständlich, Herr Wimmersen weiß, dass in Transgenischen Klinik, menschliche Organe gezüchtet werden !
Dr. Kaplan
Die Züchtung menschlicher Organe? Ausgezeichnet!
Dr. Kaplan bricht in ein lautes, fettes Lachen aus und zeigt mit seiner Hand den Weg.
Dr. Kaplan
Bitte!
14. INT. A14 Braunfels Klinik/Korridore - Tag
Frau Barret, Roger und Dr. Kaplan verlassen die Eingangshalle und gehen zu einem Korridor hinauf.
Dr. Kaplan (CONT’D)
Immer so viel Humor, Frau Barret!
Ein selbstfahrendes Bett, das mit einer grauer Plane bedeckt ist, nähert sich. Roger hält an, um es vorbei zu lassen. Er zieht sich zusammen. Sie gehen weiter.
Sie kommen zu einer Hochsicherheitsschleuse. Dr. Kaplan zieht sein Badge ein, und die Türen öffnen sich. Sie gehen weiter. Anstatt Wände sind jetzt große Fenstern im Korridor, hinter denen ist eine leicht rosafarbene Flüssigkeit (namens Vitax®), die den Raum bis zur mittleren Höhe ausfüllt, wie in einem Pool oder Aquarium. Sie durchqueren ein türloses Tor, oberhalb dessen ein Schild mit der Aufschrift: KERN steht. Sie gehen weiter.
Plötzlich sieht man hinter dem Fenster einen ganzen Körper liegen, Er ruht auf einem Bett, in der rosa Flüssigkeit bis zum Kinn eingetaucht. Roger ist angespannt. Der Brustkorb bewegt sich regelmässig im Rhythmus der Atmung auf und ab. Sie laufen weiter, ein anderer Körper liegt auf einem Bett in der Vitax® Flüssigkeit.
Sie laufen an einem Schild vorbei, auf dem geschrieben steht: ENDE DER PRÄOPERATIVE RUHEZONE. Roger ist erleichtert (seine Befürchtungen, dass diese Körper als Ersatzteillager dienen, haben sich nicht bewahrheitet). Er stolpert und klammert sich an Ingrids Hand. Er schaut sie mit einer Art Bewunderung an. Sie gehen weitere 30 Meter.
Sie bleiben vor der Box 58 stehen. Dr. Kaplan zieht sein Badge ein, die Tür öffnet sich. Dr. Kaplan und Ingrid treten hinein, gefolgt von Roger.
15. INT. A15 Braunfels Klinik/Box 58 - Tag
Im Inneren der Box, liegt eine nackte junge Frau. Ihr Schambein ist mit einem vierblättrigen Kleeblatt bedeckt. Sie ist bis zu den Brüsten in Vitax® eingetaucht, sie atmet in einem regelmässigen Rhythmus. Auch wenn es unter ihrem Rücken eine Auflagefläche gibt, die wie ein Bett wirkt, ruht sie nicht darauf, sie berührt es nicht, sie schwebt. Sie atmet. Ihre Hände sind auf der Brust zusammengelegt, als ob sie betet. Sie sieht genauso aus wie Ingrid, nur viel jünger. Ihre Haut ist vollkommen glatt und milchig weiß, ihre Lippen üppig und kräftig, sie strahlt Liebe aus. Sie liegt wie Dornröschen und wartete auf den Kuss, der sie aus dem ewigen Schlaf wecken sollte. Roger‘s Hals bewegt sich vorwärts, seine Wirbelsäule krümmt sich nach vorne, für einen Moment glaubt er, er sei der Prinz. Welch ein wunderschönes Wesen! Seine Augen bleiben an den ihren kleben.
Ingrid
Ich bin schön, nicht wahr?
Roger ist verblüfft. Ingrid geht auf ihren Klon zu, sie nimmt seine rechte Hand, die linke fällt in die rosa Flüssigkeit und bespritzt Doktor Kaplans weißen Kittel mit großen rosa Tropfen. Sie nähert ihre Lippen an die Stirn des Klons und küsst ihn lange.
Ingrid
Du bist das wunderbarste Geschöpf aller Zeiten. Du verkörperst die Essenz der Schönheit, der Weiblichkeit, alle Männer liegen dir seit jeher und für immer zu Füßen. Du bist meine einzige Liebe!
Ingrid richtet sich auf, stürzt sich dann wie ein Raubvogel auf ihre Beute und klebt ihre feurigen Lippen in einem langen Stöhnen an die der liegenden Frau. Doktor Kaplan nimmt fröhlich den Puls des Klons, gleichgültig gegenüber all dieser Emotionalität.
Dann begibt er sich zum anderen Bett, auf dem eine dritte Ingrid liegt, die mit der vorigen identisch ist. Das ist zu viel für Roger. Er schaut Ingrid vorwurfsvoll an.
Ingrid
Keine Sorge, sie haben keinen Verstand.
Roger ist entsetzt.
Ingrid
(beruhigende Stimme)
Sie hatten nie ein Gehirn. Nur der Hypothalamus wurde gebildet, um alle lebenswichtigen Funktionen zu gewährleisten, die vom sympathischen und parasympathischen Nervensystem abgedeckt werden. Sie haben Gehirnmasse, die aber nicht zu einem Gehirn geformt wurde. Die Expression der Gene EMX2 und PAX6 wurde modifiziert und schließlich gehemmt. Sie sind keine menschlichen Wesen, auch wenn sie so aussehen.
Einer der Klone seufzt.
Dr. Kaplan
Auch dies ist das Werk des Parasympathikers. Es ist die Regulierung des Sauerstoffgehaltes, genauer gesagt die Entleerung der Zellen von Restkohlendioxid, es sind keine Emotionen, Herr Wimmersen.
Roger ist erleichtert.
Dr. Kaplan (CONT’D)
und wenn man bedenkt, dass die ersten Klone ein Gehirn hatten, wie sehr müssen sie gelitten haben, die Armen, bis Professor Sweed endlich einen Weg gefunden hat, die Gehirnbildung zu hemmen!
Roger hört nicht mehr zu. Dr. Kaplan wendet sich nun an Frau Barret.
Dr. Kaplan (CONT’D)
Übrigens, wie geht es ihr?
Frau Barret starrt ihn an. Kaplan schweigt sofort und bedauert seine Worte.
Ingrid
Das reicht, Kaplan, ich zahle Ihnen nicht zwei Millionen Kronen, um meinem neuen Mann von den Eskapaden meines verstorbenen Ex-Mannes zu erzählen!
Dr. Kaplan
(langsam und schwachsinnig)
Ah, die Eskapaden Ihres verstorbenen Mannes!
Dann schaut er auf die Brüste eines der liegenden Klone, und Ingrid ohrfeigt ihn ins Gesicht. Er fällt vor Ingrid auf die Knie und ergreift ihre Hände.
Dr. Kaplan
Verzeihen Sie, Frau Sweed! ich weiß nicht, was ich da sage.
Ingrid sieht ihn eine Weile an.
Ingrid
Ich bin diejenige, die sich entschuldigen soll, das hätte ich nicht tun dürfen, bitte stehen Sie auf, Herr Doktor. Es tut mir so leid!
Dr. Kaplan
Nein nein, Frau Sweed, es ist alles meine Schuld, ich bin manchmal so ein Idiot, gehen wir!
Sie gehen, Arm in Arm, wie alte Freunde. Roger folgt ihnen.
16. EXT. A16 Friedhof - Tag
Dr. Kaplan geht (NAHE). Der Winkel erweitert sich: Er trägt Blumen. Der Winkel weitet sich weiter: Er geht auf einem Friedhof. Er nähert sich einem Grab und kniet sich hin. Er legt die Blumen auf das Gras vor dem Grab. All dies wird mit der Kamera an der Stelle des Grabes aufgenommen. Dann wird das Grab gezeigt:
Unser geliebter Sohn: Samuel Kaplan, 21 09 2018 - 02 08 2026 für immer in unserem Herzen.
17. INT. A17 Hotelzimmer, Klinik Nähe - Nacht
Sie essen in ihrem Zimmer an einem Tisch beim Fenster. Musik kommt von der Anlage. Draußen erstreckt sich grünes Gras bis zu den Klippen über dem Meer. Das Feuer knistert im Schornstein. Ingrids Operation ist für morgen geplant. Sie haben gerade zu Abend gegessen. Es gibt nur ein Glas Wein für Roger. Ingrid schaut streng. Roger ergreift ihre Hand.
Roger
Mach dir keine Sorgen, Liebling. Die Statistiken für diese Art von Operationen sind sehr gut. Wir sprechen hier von weniger als fünf Prozent Misserfolg.
Ingrid
Fünf Prozent sind riesig... Sie sagten, es gäbe eine fünfzehnprozentige Regenwahrscheinlichkeit für heute, und was ist passiert? Es hat den ganzen Tag geregnet.
Sie zieht ihre Hand aus seiner.
Ingrid (CONT’D)
Ich glaube nicht an Statistiken, Roger. Ich bin kein Mann.
Ingrid schnappt sich Rogers Rotwein und trinkt einen Schluck.
Roger
Du sollst vor der Operation weder Alkohol trinken ... noch rauchen.
Sie schenkt sich noch ein Glas ein. Sie steht auf und geht zum Kamin. Roger beobachtet seine Hände.
Roger
(zögert)
und diese Person von der Dr. Kaplan...
Ingrid
(unterbricht ihn)
Sie ist Heinrichs Geschöpf. Sie ist ich, mein Doppelgänger, mein Abbild. Sie ist ein Klon, Roger! Sie ist der erste Klon von mir, der überlebt hat. Heinrich wusste nicht, was er mit ihr machen sollte. Er versteckte sie, zuerst in der Klinik, dann gab er sie zu Pflegeeltern. Es war unsere Tochter, weißt du, die wir uns wünschten, aber nie haben konnten.
Roger
Oh, das wusste ich nicht. Warum habt ihr sie nicht adoptiert?
Ingrid
Du Dummkopf! Das Klonen war illegal und ist es immer noch. Heinrich wurde nur von seiner wissenschaftlichen Leidenschaft angetrieben. Das war, bevor er entdeckte, wie man die Entwicklung des Gehirns verhindern kann.
Ingrid holt eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche. Sie zündet sich eine Zigarette an und setzt sich, hypnotisiert vom Tanz der Flammen, an den Kamin. Nach einer Weile steht sie auf und beginnt mit geschlossenen Augen zu der Musik zu tanzen, die Brust nach vorne gerichtet, ruhig und stolz. Roger bewundert sie...
FADE OUT